Subject: Leserbrief+zum+Artikel+Karriere+einer+Juniorprofessorin
From: Rainer Klages
Date: Thu, 27 May 2004 14:50:08 +0200
CC: spon_leserbriefe@spiegel.de

*Es geht wieder aufwaerts mit der dt. Forschung???*

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich fuer die genannte Juniorprofessorin, dass Sie in Deutschland Karriere gemacht hat. Nur wird mit dieser Meldung einer von 1000 Faellen herausgegriffen, wo eine hoffnungsvolle junge Nachwuchswissenschaftlerin eine feste Stelle in der dt. Forschung bekommen hat. Die wissenschaftliche Reaiitaet fuer junge dt. Forscher sieht leider nach wie vor anders aus.
Ich darf das kurz an meinem eigenen Beispiel demonstrieren: seit 1992 habe ich als Doktorand und als Postdoc 5 1/2 Jahre in drei verschiedenen Staaten im Ausland verbracht. Im Jahr 2000 habe ich das Angebot eines Max-Planck-Instituts in Deutschland auf eine zeitlich befristete Stelle angenommen. Gemaess einer kuerzlich veroeffentlichten DFG-Studie, s.
http://www.dfg.de/dfg_im_profil/zahlen_und_fakten/statistisches_berichtswesen/stip2004/index.html
in der auf `eine ueberraschend hohe Zahl von Wissenschaftlern hingewiesen wurde, die nach Deutschland zurueckgekehrt sind', gelte ich somit als `Rueckkehrer'.
Leider wurde in dieser Studie nicht gefragt, ob diese Personen auch eine feste Stelle und damit eine Zukunft im dt. Wissenschaftsbetrieb haben. In meinem Fachgebiet habe ich seit mehr als einem Jahr keine Ausschreibung mehr auf eine passende langfristige Stelle in Deutschland gesehen. Dementsprechend werde ich diesen Sommer wieder ins Ausland ziehen, und zwar auf eine Position an einer Universitaet in Grossbritannien. 1/3 der Bewerbungen auf diese Stelle stammte von Deutschen. Am Fachbereich selbst werde ich der fuenfte Deutsche sein, drei davon sind in den letzten zwei Jahren ausgewandert. Ein Kollege erzaehlte mir, dass an seine englische Uni acht Deutsche emmigriert sind. Die Englaender freuen sich ueber diese exzellenten Lehrkraefte, schuetteln aber ueber das dt. Wissenschaftssystem nur noch den Kopf.
Ein Land, dass es sich leisten kann, seinen hochqualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs mit teuren Steuergeldern langjaehrig auszubilden, um ihn dann scharenweise ins Ausland abwandern zu lassen, dem kann es doch intellektuell und wirtschaftlich gar nicht schlecht gehen! Oder wie es ein dt. Professor ausdrueckte, dieser brain drain zeugt von der hohen Qualitaet der dt. Forschung... Mein Eindruck ist, dass in Deutschland lieber 100 Computer gekauft werden, anstatt eine permanente Stelle fuer einen jungen Wissenschaftler zu schaffen.
Ich wuerde Sie daher ermuntern, einen kritischeren Artikel zur Situation des dt. wissenschaftlichen Nachwuchses zu verfassen, anstatt eine Schoenfaerberei des entsprechenden Bundesministeriums weitestgehendst unreflektiert zu uebernehmen. Viele junge Wissenschaftler wuerden es Ihnen danken.
Mit freundlichen Gruessen,
Rainer Klages