Schwaches Chaos, unendliche Ergodentheorie und anomale Dynamik

Isoliert man eine einzelne lebende Zelle aus seinem Koerper, so findet man, dass eine solche biologische Zelle typischerweise anfaengt zu krabbeln. Diesen Prozess des Krabbelns zu klassifizieren ist ein interessantes mathematisch-physikalisches Problem. Es zeigt sich, dass biologische Zellen Bewegungen durchfuehren, die weitaus komplizierter sind als z.B. die Zitterbewegung eines winzigen Staubteilchens in einem Wasserglas.

In der aktuellen Forschung werden immer haeufiger komplexe Systeme gefunden, die - im Vergleich zur `normalen' Bewegung von Staubteilchen im Wasserglas, wie sie vor ueber 100 Jahren von Albert Einstein in seiner Doktorarbeit beschrieben wurde - `anomale' Dynamik zeigen. Dieses Phaenomen wurde fuer so verschiedene Faelle beobachtet wie Teilchentransport in Fusionsplasmen, nahrungssuchende biologische Organismen, Atome, die in periodischen Laserfeldern diffundieren bis hin zu anomal blinkenden mikroskopischen Quantenpunkten. Wie sich bei der theoretischen Analyse einfacher Modellsysteme herausgestellt hat, liegt diesem Phaenomen haeufig eine Dynamik zugrunde, die weder vollstaendig zufaellig noch vollstaendig regulaer ist, was als `schwaches Chaos' bezeichnet wird. Solche Systeme sind wiederum von Mathematikern eingehend studiert worden, die zur deren Beschreibung die `unendliche Ergodentheorie' als eine neue mathematische Sprache entwickelt haben.

Ziel einer dreiwoechigen Tagung, die im Juli und August am Max-Planck-Institut fuer Physik komplexer Systeme in Dresden stattfindet, ist es, Physiker und Mathematiker zusammen zu bringen, die an der Entwicklung dieses neuen Forschungsfeldes arbeiten. Dazu werden rund 90 Wissenschaftler aus 17 verschiedenen Laendern erwartet. Die Konferenz wird den Bogen spannen von aktuellen experimentellen Resultaten zu anomaler Dynamik bis hin zu deren abstrakten mathematisch-physikalischen Beschreibungsweisen durch Chaostheorie, Ergodentheorie und die Theorie von Zufallsprozessen. Es ist zu erwarten, dass die dabei entstehenden neuen wissenschaftlichen Konzepte zu vielen weiteren spannenden Entdeckungen anomaler Dynamik in realen Systemen und deren fundamentalem Verstaendnis fuehren werden.

Rainer Klages

(Auszuege dieser Presseerklaerung sind am 27.7.2011 in den `Dresdner Neuen Nachrichten' veroeffentlicht worden.)