Subject: Kommentar zum Artikel `Kommt heim!' in der ZEIT Nr.37 vom 6.9.
Date: Sun, 23 Sep 2012 23:23:01 +0100
From: Rainer Klages <r.klages@qmul.ac.uk>
To: leserbriefe@zeit.de
Habe
ich etwas verpasst? Wo sind denn all die akademischen Jobs, die ins
Ausland emigrierte deutsche Wissenschaftler wieder in die Heimat
`zuruecklocken' sollen? In der ZEIT werden sie jedenfalls nicht
inseriert. Oder sind ausgewanderte Wissenschaftler, so wie ich, einfach
zu dumm, sie in Deutschland zu finden, und muessen daher von
hochrangigen Kommissionen mit der Nase darauf gestossen werden? Oder
geht es vielleicht gar nicht um neue permanente Wissenschaftlerstellen
an Universitaeten und Instituten, sondern darum, Akademiker fuer die im
Uebermass vorhandenen zeitlich befristeten Uebergangsstellen ohne
Perspektive und fuer die Industrie zu rekrutieren? Fakt ist, dass ein
akademischer Mittelbau in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr
existiert und damit auch keine Karriereleiter fuer den jungen
wissenschaftlichen Nachwuchs. Fakt ist auch, dass es ausser wenigen
permanenten Professorenstellen fuer Wissenschaftler nach
wie vor kaum eine langfristige Perspektive gibt in Deutschland; dass
die Zahl dieser Professorenstellen ueber die letzte Dekade bestenfalls
stagniert; und dass aus diesem Grund das Betreuungsverhaeltnis Student
zu Professor in Deutschland nach wie vor bei mindestens 60:1 liegt,
waehrend es an meiner Uni in London etwa 18:1 betraegt. Ein weiterer
Fakt ist, dass 8 meiner 44 Kollegen in unserem Department Deutsche sind
und wir damit die groesste auslaendische Minderheit stellen. Warum
wohl? Aehnliche Zahlen lassen sich an anderen britschen Universitaeten
beobachten. In diesem Sinne noch einmal die Frage: Wo sind denn all die
akademischen Jobs, die uns nach Deutschland zuruecklocken sollen?
Sollte jemand einen finden, bitte ich darum, mir Bescheid zu geben.
ps: Ein paar interessante Fakten zu dieser Thematik habe ich hier zusammengetragen:
http://www.maths.qmul.ac.uk/~klages/expats.html
Ein
kritischer Artikel zum Thema brain drain in der ZEIT koennte
interessanter sein als propagandistische Meldungen von Politikern,
denen sehr daran liegt, diese Problematik schoenzufaerben,
unreflektiert zu uebernehmen. Ich selbst war bei einer solchen `gain'
Tagung letztes Jahr in Berlin dabei. Netter Versuch, aber ohne neue
permanente Wissenschaftlerstellen wird sich an der Situation nichts
aendern.
Mit freundlichen Gruessen aus London,
Rainer Klages